„Werte und Wandel“ lautet das selbsterwählte Motto der Stadt Coburg. Während die Stadt versucht sich diese progressiven Werte zu eigen zu machen, gibt es zahlreiche Beispiele, die dieser Selbstdarstellung widersprechen: Der Umgang mit dem rassistischen Stadtwappen, mit der M*-Straße oder M*-Brücke, mit der eigenen unzureichenden Aufarbeitung der NS-Vergangenheit, dem Lobbyismus und – natürlich – dem Coburger Convent (CC).
Vom 03. – 06.06.2022 haben wir – das breite Bündnis „Studentische Verbindungen auflösen!“ – vielfältigen Protest und diverse alternative Veranstaltungen gegen diese rechtskonservative bis rechtsextreme und elitäre Männerveranstaltung erfolgreich durchgeführt und auf die Straße gebracht. Die Teilnahmer*innenzahl, das positive Feedback und die angenehmen Stunden, die wir gemeinsam im verbalen Austausch und im Protest gegen den Coburger Convent verbringen konnten, lassen uns das vergangene Pfingstwochende insgesamt als Erfolg bewerten!
Es ist uns gelungen, mit unserem Protest und mit der darauffolgenden Resonanz, den Diskurs um die antimodernen und fragwürdigen Traditionen, sowie über das Verhalten der in weiten Teilen nationalistischen Verbindungsstudenten ein Stück weit zu öffnen und uns teilweise den öffentlichen Raum zurückzunehmen. Dabei ist auch deutlich geworden, dass sich eine Vielzahl der Ansässigen von diesem rechtskonservativen Spektakel gestört fühlt und unseren Protest unterstützt.
Neben dem vielen Zuspruch aus der „Vestestadt“ selbst, freuen wir uns auch über die gestiegene Teilnehmer*innenzahl, die sich auf unsere monatelange und bundesweite Mobilisierung zurückführen lässt. Die Kritik, dass es sich bei unserem Bündnis und den Protestteilnehmenden vorwiegend um angereiste Menschen handelt, lässt sich – wie auch schon seit Jahren – bei genauerer Betrachtung und Recherche nicht halten. Es ist egal wie oft Sprecher des CC dies betonen, es bleibt eine unbelegbare Behauptung. Dennoch ist es gerade auch wichtig, den Coburger Convent nicht nur als Angelegenheit der Coburger*innen zu verstehen. Denn das Weltbild und die einflussreichen Seilschaften der Studentenverbindungen – der „Aktivitas“ & „Alten Herren“ – machen nicht an den Grenzen der oberfränkischen Provinz halt. Statt bundesweiten queer-feministischen, antifaschistischen und emanzipatorischen Protest aus irgendwelchen fadenscheinigen Argumenten heraus, unreflektiert als unzulässig abzulehnen, wäre es für den CC stattdessen ratsam, sich lieber mit der fundierten und aktuellen Kritik auseinanderzusetzen. So zeigt auch das diesjährige Pfingstwochenende anhand einiger eindrücklicher Beispiele, dass unsere Mobilisierung und unser Protest gegen diese sexistischen Männerbünde und ihr Zusammentreffen wichtig und richtig ist!
Während der Coburger Convent sich nach außen hin immer als unpolitisch und friedvoll darstellt, sieht die Realität jedes Jahr zu Pfingsten anders aus. Die Bilanz dieses Jahres ermöglicht uns dabei eine deutliche Einordnung. Die Verbindungsstudenten traten wie jedes Jahr selbstbewusst auf. In großen Teilen – auch durch die Hilfe der Polizei und die Masse der Korporierten – machten sie sich in den bürgerlichen und stadtbekannten Lokalen weitestgehend ungestört breit. In typischer Verbindungsmanier sangen die rechtsnationalen Verbindungsstudenten in einer Gaststätte der Coburger Innenstadt die deutsche Nationalhymne – inklusive der von rechtsextremen gern gesungenen ersten und zweiten Strophe des Deutschlandlieds. (Das Video liegt uns im Orignal vor).
Neben den üblichen zerbrochenen Maßkrügen, dem überall verbreiteten Urin und der Kotze in den Straßen unserer Stadt kam es außerdem zu mutwilligem Vandalismus gegen Coburger Lokalitäten wie z.B dem „Hopfen & Malz“ und dem „Picknick“. Letzteres positionierte sich mit Hilfe eines Schilds eindeutig gegen die Verbindungsstudenten. So waren die Korporierten dazu aufgerufen, ihre Mütze vor dem Betreten des Lokals abzunehmen. Ein Zusammenhang zwischen der öffentlichen Positionierung und dem Vandalismus ist aus verschiedenen Gründen naheliegend. (Quelle: https://www.infranken.de/lk/coburg/coburg-vandalismus-am-convent-wochenende-macht-wirte-fassungslos-danke-fuer-nichts-art-5472286).
Wie jedes Jahr hat der Coburger Convent aufs Neue an seinen aus der Zeit gefallenen, rechtsnationalistischen Traditionen festgehalten. Wie zu erwarten lockte das widerwärtige Gedenken an verstorbene Nazibundesbrüder und der alljährliche Fackelmarsch in der ersten NS-Stadt Deutschlands zahlreiche organisierte Rechtsextreme aus Coburg und der Umgebung an. Am Tag des Fackelmarsches ließen sich verschiedene größere Gruppen der organisierten Rechten – auch in der Nähe des Gegenprotests – beobachten. Dass die Gefahr an den Tagen des Coburger Convents jedoch nicht nur von den Anreisenden und ansässigen Faschist*innen ausgeht, beweist ein Vorfall, der sich im Anschluss an den Fackelmarsch ereignete.
Mehrere Zeug*innen konnten beobachten, wie ein 36-Jähriger CCler eine 22-Jährige Gegendemonstrantin mit einer nicht entzündeten Fackel im beisein anderer Verbindungsstudenten zu Boden stieß und ihr daraufhin in’s Gesicht schlug. Dem tätlichen Angriff folgte eine Vielzahl an menschenverachtenden und sexistischen Beleidigungen, die zeigen welches Geistes Kind diese vermeintliche Elite ist. Dieser Angriff ist widerwärtig und ekelhaft!
Für die bürgerliche Presse und die Stadt Coburg ist das allerdings kein Anlass, den Diskurs zum Coburger Convent weitergehend zu öffnen. Stattdessen hagelt es Beschwichtigung und Relativierung. Die Online-Zeitung „Fränkischer Tag“ und die dazugehörige Print-Zeitung „Coburger Tageblatt“ fiel bereits im Vorhinein mit reißerischen Überschriften auf, die offensichtlich versuchten, unseren Gegenprotest als gewaltätige Gefahr für Coburg darzustellen und damit zu delegitimieren. Während ihnen für unseren Protest Titel wie „Chaos droht“ oder das apokalyptische „Da braut sich etwas zusammen“ einfällt und jeder Mützenklau mehrere Absätze wert ist, relativieren sie die skrupellose Gewalttat des CClers. Diese Gewalttat, die sie – bevor wir eine Pressemitteilung zu diesem Vorfall veröffentlicht haben – mit einem Nebensatz abspeisten, thematisierten und beschwichtigten sie mit den Worten, dass sich der tätliche Angriff auf eine Gegendemonstratin „auf dem Instagram Account des Bündnisses (…) viel dramatischer“ lese als in der Polizeibilanz. Das mag stimmen, aber Polizeiberichte abschreiben ist auch schlichtweg kein Journalismus!
Das liegt auch daran, dass die Polizei kein objektives Organ ist, wie sich auch deutlich an diesem Pfingstwochenende zeigte. Die Summe an „verdachtsunabhängigen Kontrollen“, die unerlaubte Forderung an Gegendemonstrant*innen ihre Fotos von einer Kamera zu löschen und das martialische Bullenaufgebot zum „Schutz“ des Fackelmarsches beweist genau das. Weitergehend schikanierte die Polizei den Gegenprotest und andere legitime Veranstaltungen mit der illegalen Praxis, das Protestgeschehen ständig abzufilmen und zu fotografieren. Das ganze Polizeitheater rundeten sie schließlich, mit einer komplett unnötigen, gewaltvollen und überzogenen, anlasslosen „Festnahme“ (vermutlich wurde hier nur eine Erkennungsdienstliche Maßnahme vollzogen) einer Einzelperson am Montag Abend in der Spitalgasse ab. Im Beisein einiger Gegendemonstrant*innen hörten einige Zeug*innen aus dem Bündnis die Absprache der Polizei: „Den nehmen wir!“ woraufhin ein unverhältnismäßiger Zugriff der Robocops folgte, dem kein ersichtlicher Anlass vorausgegangen ist. Es ist klar, dass es an dieser Stelle einzig und allein darum ging, uns einzuschüchtern und ein Exempel zu statuieren. Auch im Vorhinein schikanierten uns die Cops. So wurde eine Mobiveranstaltung in Berlin sichtbar und deutlich von Bullen in Zivil beobachtet und abfotografiert. Wir verurteilen jeden Versuch der Delegitimation und Kriminalisierung unseres legalen Gegenprotests gegen das jährliche Treffen der sexistischen, elitären und nationalistischen Männerbünde aufs Schärfste!
Doch auch die Stadt Coburg, hat sich am Wochenende des Coburger Convents – neben den offensichtlichen Gründen, die wir im Vorangegangen schon aufgeführt haben – auch weitergehend nicht mit Ruhm bekleckert. Der 2.OB der Stadt Coburg Hans-Herbert Hartan (CSU) rundete die Kongressveranstaltung am Montag vor dem Fackelmarsch mit einladenden und herzlichen Worten gegenüber dem Coburger Convent ab. Diese Worte hätten gleichermaßen auch in einem AfD-Festzelt fallen können. So echauffiert sich der zweite Oberbürgermeister unserer Stadt über demokratische und legitime Kritik aus der „links-grünen“ Ecke und unsere Gegenveranstaltungen. Statt diese konstruktiv in seiner Rede einzubauen und darauf aufbauend die vermeintlich progressiven Kräfte im CC zu stärken, bestärkt er – wie leider für ein CSU-Mitglied zu erwarten – rechtsnationales Brauchtum und die Deutschtümelei. Für ihn ist der Fackelmarsch und das sog. „Helden“-Gedenken am Coburger Nazi-Denkmal in den Arkaden nicht aus der Zeit gefallen (Quelle: https://twitter.com/AnnaZellerPress/status/1534936274607517707 und Transkript). Damit entfernt sich der zweite Oberbürgermeister weit von den Positionen des sich während des Coburger Convents im Urlaub befindenden ersten OB und zeigt gleichsam die enge Verbundenheit der rechtsnationalen und konservativen Kräfte im CC und der Stadtpolitik. An dieser Stelle muss die Frage erlaubt sein wer in Coburg für „Werte“ und vorallem „Wandel“ steht? Hans-Herbert Hartan und die örtliche CSU offenbar nicht. Vielmehr muss innerhalb der Stadtverwaltung und deren Leitung – respektive der 1.OB Sauerteig und dem Stadtrat – ein Denkprozess angestoßen werden ob sie sich für ein progressives und weltoffenes Coburg einsetzen wollen, das ALLE Coburger*innen integriert und ihnen einen Raum zur Entfaltung bietet oder ob sie sich von einer regressiven Bande vermeintlicher Eliten ihren toxischen Traditionskult und ihr völlig fehlgeleitetes Bewusstsein diktieren lässt, das keinem Menschen in der Stadt etwas
zu bieten hat.
Trotz – oder gerade wegen – all dieser übel riechenden und längst verdorbenen braunen und konservativen Suppe ist es uns an diesem Wochenende gelungen, ein stabiles Zeichen für eine progressive und emanzipatorische Zukunft ohne elitäre Männerbünde und ohne den rechtsnationalistischen Convent zu setzen. Der Protest in diesem Jahr war dabei nur ein Anfang. Auch wir möchten unseren Protest in den kommenden Jahren diverser gestalten und nehmen Kritik diesbezüglich sehr ernst. Eins ist auf jeden Fall sicher: Wir werden nicht aufhören, gegen diesen sexistische Männerhaufen der sich jedes Jahr in Coburg zusammentut zu protestieren! Wir werden keine Ruhe geben, bis mindestens der Fackelmarsch und das Gedenken am NS- und CC-Denkmal in Coburg ein Ende hat!